Die Krise in der Industrie spitzt sich zu. Die Betreiberfirma des Chemieparks Leuna streicht Investitionen und baut Personal ab. An anderen Standorten wurden schon Anlagen geschlossen.
Von Steffen Höhne
Halle/Leuna/MZ. Durch die Energiepreiskrise sind viele der mitteldeutschen Chemiestandorte bisher ohne Werksschließungen gekommen. Doch aufgrund wieder steigender Energiepreise spitzt sich die Lage jetzt zu: Die Betreibergesellschaft des Chemieparks Leuna, InfraLeuna, kündigte am Mittwoch auf einer Mitarbeiterversammlung einen Sparkurs an. „Wir streichen die Investitionen zusammen und reduzieren auch Personal“, sagte Geschäftsführer Christof Günther anschließend der MZ.
Statt der geplanten 107 Millionen Euro würden im kommenden Jahr lediglich 30 Millionen Euro investiert. So werde unter anderem die Erweiterung von Labors verschoben und der Bau eines Solarparks an einen Partner übergeben. Das Unternehmen mit 850 Mitarbeitern will laut Günther das altersbedingte Ausscheiden von 100 Mitarbeitern in den kommenden drei Jahren dazu nutzen, um Personal abzubauen. Die Höhe stehe noch nicht fest. „Betriebsbedingte Kündigungen gibt es aber nicht“, so Günther.
InfraLeuna versorgt alle Chemiefirmen am Standort, etwa mit Energie und Wasser. „Die Auslastung der Chemieanlagen ist insgesamt unter 70 Prozent gefallen, damit arbeiten einige unserer Kunden nicht mehr profitabel“, erläuterte Günther die Lage. Daher liege der Absatz von Dampf 40 Prozent unter dem Niveau von 2021. „Mit den Sparmaßnahmen werden wir Kosten reduzieren, um unsere Kunden wirtschaftlich zu unterstützen“, sagte er.
Dow prüft Anlagen
Im Sommer hatte der Chemieparkchef die Lage noch positiver eingeschätzt. „Durch die zuletzt gestiegenen Erdgaspreise ist das Geschäft bei einigen unserer Kunden aber eingebrochen“, sagte Günther. „Die Perspektiven sind so unsicher wie noch nie.“
Am benachbarten Chemiestandort in Schkopau prüft der Chemiekonzern Dow gerade aufgrund steigender Energie- und Rohstoffpreise seine Aktivitäten. Konkret heißt das: Das Management muss aufgrund der aktuellen Bedingungen eine Prognose zur Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Anlagen abgeben. Am Standort im sächsischen Böhlen kommt eine von Dow geplante Anlage für chemisches Kunststoffrecycling nicht in Gang. Die Großinvestition in dreistelliger Millionenhöhe wurde 2022 angekündigt, doch bisher gab es keinen Baustart (die MZ berichtete).
Dow hatte bereits 2022 beschlossen, seine Acrylsäure-Anlagen am Standort Böhlen stillzulegen. Begründet wurde das mit der geringen Nachfrage. Das Unternehmen Vinnolit legte seine PVC-Anlage in Schkopau still, die abgerissen wurde. Ebenfalls stillgelegt ist die Styrol-Anlage von Trinseo in Böhlen – sie soll aber wieder angefahren werden.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff bezeichnete am Mittwoch in Wittenberg die Lage in der Chemie als besorgniserregend. „Die Grundstoff-Chemie ist gefährdet“, erklärte der CDU-Politiker. Er warnte, dass durch die Abschaltung einzelner Anlagen der gesamte Stoffkreislauf gefährdet werde. Am kommenden Montag reist Haseloff nach Brüssel und trifft EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mit ihr will er unter anderem über Hilfen bei den Energiepreisen für Strom und Erdgas sprechen.
Warum sich die Lage zugespitzt hat, lässt sich an folgenden Zahlen erläutern: Der Gaspreis im Großhandel ist seit Frühjahrum knapp 100 Prozent auf zuletzt knapp 50 Euro je Megawattstunde gestiegen. „Um im Wettbewerb mithalten zu können, benötigt die Branche einen Preis unter 30 Euro“, sagte Carsten Franzke, Geschäftsführer des Düngemittel-Herstellers SKW Piesteritz aus Wittenberg. Zum Vergleich: Bis 2022 kam russisches Erdgas zu Preisen von 20 bis 25 Euro je Megawattstunde. Um Kosten zumindest teilweise aufzufangen, hat SKW für kommendes Jahr mit seinen Beschäftigten eine Nullrunde vereinbart.
Sofortprogramm gefordert
Um Abschaltungen von Chemieanlagen zu vermeiden, fordert Günther von der Bundesregierung ein Sofortprogramm. „Alle Umlagen und Abgaben auf Strom und Erdgas müssen sofort ausgesetzt und die Preisbremsen wieder in Kraft gesetzt werden“, so Günther. Die neue Bundesregierung müsse dann ein Konzept erstellen, wie eine verlässliche Energieversorgung zu planbaren Kosten möglich ist. „Sonst verlieren wir die energieintensive Industrie.“
Der Chemiestandort in Leuna befindet sich jedoch auch im Umbau. Künftig sollen Spezialchemikalien eine größere Rolle spielen. Im kommenden Jahr wird das Unternehmen UPM die weltgrößte Bio-Raffinerie eröffnen, die als Rohstoff Holz nutzt, um Chemikalien herzustellen. „Wir planen weitere Projekte in der Bio-Chemie“, kündigte Günther an. Um die Investitionen zu tätigen, benötige der Standort aber weiter die starke Basis der vorhandenen Unternehmen.
Mitteldeutsche Zeitung, 05.12.2024